Anleitung zu Reinheit und Genuss
von Leopold Rosenmayr

Festrede anlässlich der Verleihung des Würdigungspreises des Landes Steiermark an Josef Pillhofer, gehalten in Graz am 5. Dezember 1983

In unserer Gegenwart treibt eine Fülle geheuchelter Unmittelbarkeit auf uns zu. Im Werk Josef Pillhofers fühle ich mich hingegen als Mensch geschont. Ich werde nicht in den Sog des Unmittelbaren hineingezogen. Es wird nicht an mich appelliert, ich werde nicht durch Reize oder Bedrückungen verbraucht.

Pillhofer entfaltet die Fähigkeit, die Spannung zwischen Natur und abstraktem Begriff auszuhalten. Vielleicht ist in der bedrohten Welt nichts wichtiger als die Hinwendung zur Innigkeit der Anschauung, aber auf der Grundlage der systemhaft durchdrungenen Realität. Nannte doch schon Hegel Erfahrung ein „Innewerden der Logik des Wirklichen“.  Wer die abstrakte Logik in der naturzugewandten Figuration, die Pillhofers plastisches Werk des letzten Jahrzehnts auszeichnet, nicht sieht, versteht seinen Naturbegriff und versteht seine Natürlichkeit nicht. Ich möchte also Pillhofer loben für die umfassende Mittelbarkeit, die Indirektheit seiner Form, durch die die Wucht der Strukturen des Wirklichen erst hervortreten kann.

Das analytische Bewusstsein dieses Jahrhunderts, das sich in immer kürzer werdenden Abständen selbst widerlegt, hat eine Tendenz, ins Banale und Schale abzugleiten. Es erschöpft sich, indem es sich in immer neuen Varianten reproduziert. Nur die Anschauung, ein synthetischer, ja fast moralischer Akt, weil dazu Einhalt und Sammlung notwendig sind und Begrenzung aufs Einbildbare, erlaubt uns einen Weg zum Glück. Insofern ist Kunst nicht für die Kunst, sondern für das Leben da.

Die Reinheit und Spärlichkeit in Pillhofers Zeichnungen sind wie ein Sich-Abstemmen, Sich-Abheben von jedem Naturalismus. Ich sehe, wie sich die Felsen der Altenburger Wände der Rax zusammensetzen, wie sich das wilde Gamseck im Detail aufbaut. Diese Spärlichkeit mit ihren manchmal fast skurrilen (aber durchaus formlogischen) Bezügen auf Details im Vordergrund bringt mir Heimat, Gebirge, aber auch römische Tempel oder normannische Architektur in Sizilien.  In der Spärlichkeit Pillhofers wird selbst eine Aktzeichnung möglicherweise zur Chiffre. Pillhofer schmiegt sich nicht den Lebensmöglichkeiten, nicht einmal einem angenehmen Blickwinkel an, die ja alle gesellschaftlich produziert sind. Er sucht hier streng als Einzelner.

Pillhofer treibt seine Klärungen sehr weit voran, sie treten fast wie Pläne zu Tage. Er zeigt eine durch ein hohes Maß von Reflexion gebrochene, aber nicht zu Konstruktivismus zerbrochene Erfahrung. Stärke, die Strenge resultieren bei ihm aus dem Zugeständnis der Ungesichertheit. Die Überzeugungskraft fließt nicht einfach ein, sie wird gefiltert, und erst daraus entsteht die Bestimmtheit der Form. Unsere Erfahrung muss dringend das Mythische überschreiten, wenn sie in der Bedrohung und Zerstörung, die wir um uns sehen und erleiden, Einhalt tun will.

Wo Gefahr ist, wächst nicht mehr notwendig das Rettende auch. Wir dürfen nicht mehr auf Kreisläufe oder Wiederholungen unsere Hoffnung setzen. Die Verbesserung verlangt im Grunde unser persönliches Wagnis, unsere ganze Tat.

Ich sehe Pillhofers Werk als eine Anleitung zum Genießen. Dies hat seine Wichtigkeit in einer ebenso überfüllten wie dürftigen Zeit. Kaum etwas vermag mehr zu läutern als der gewählte, aber ungeteilt bejahte Genuss. Lust will, wie Nietzsche sagte, Ewigkeit, aber indem wir beide bejahen, die Lust wie die Ewigkeit, empfangen wir den uns gemäßen Stempel der Vergänglichkeit. Erst sie, die Lust wie die Schönheit, lehren uns, wie wir scheitern sollen.

Pillhofers Werk ist ein wuchtiger Hinweis auf die Notwendigkeit mittelbaren, indirekten Weltverständnisses. Aber wir spüren, dass uns eine personal erworbene Erfahrung entgegentritt. Das personal Erworbene geht über das Mythische hinaus. Das mythische Leiden bleibt anonym. In der personalen Erfahrung stirbt jeder sein eigenes Scheitern und sendet von dort aus sein Licht. Die personale Erfahrung lässt sich fallen, aber differenziert gleichzeitig und bleibt wachsam. 

Die Kunst, die auf personale Erfahrung antwortet, aus ihr kommt, erschöpft sich nicht in Aktionismus oder Übermalung oder Weltuntergangslyrik. Es ist die personale Erfahrung  der Beobachtung, welche jene Linie einer Bergkuppe ziehen lässt, die mehr Tiefe zur Natur, mehr Einfühlsamkeit und Teilnahme an ihr vermittelt als naive Grünkleckserei und aktionistisches Bäumchenpflanzen. Pillhofers Werk, besonders seine tänzerischen Arbeiten, sein Weg zum Einschluss der Bewegung, beeindrucken mich sehr stark als eine kühne Hingabe an die Erfahrung. Gerade der Tanz liegt ja am augenfälligsten am Übergangspunkt vom Mythos zu personaler Gestaltung.

Das große Thema in der Plastik des 20. Jahrhunderts, seit ihrer Wendung zum Kubismus, ist der immer wieder unternommene Anlauf  zum Typischen. Dieses Jahrhundert fand in der Plastik seine Strukturen im Regress auf den Kern des archaischen, auf die Kerne der Formwerdung, später auf Konstruktion und Schock der Wirklichkeitskopie in der Pop-Art.

Lässt sich mit dem Bewusstsein, dass alle Wirklichkeit in der Kunst durch Konstruktion und damit auf dem Wege der Abstraktion erfasst werden muss, überhaupt noch Bild und Gleichnis von der menschlichen Figur in individueller Sensibilisierung entwickeln? Pillhofer hat sich der Herausforderung, geführt zu werden zu der Individualisierung, gestellt und hat den Weg zur Meisterschaft dort gesucht.

Die heimlichen Weisen unserer Zeit sind die Meister, die durch ihre Arbeit und ihren Schmerz vom Leben wissen und es, samt der darin enthaltenen Anstrengung, zu verschweigen verstehen. Denn erst durch die Gestalt, die aus dem Schweigen kommt, aus der Gestalt, die wir annehmen und aufnehmen, die durch ihre Schönheit zu uns kommt, wird uns der Genuss zuteil,  nach dem unser Herz, unsere Sinne sich sehnen und nach dem der Geist, der ruhelose, sucht.